Man muß brüllen …
… und man muß flüstern, heißt es am Ende von »flüstern & SCHREIEN«. Ein DEFA-Dokumentarfilm, der in Wort und Bild völlig ohne Floskeln auskommt. Am 20. Oktober 1988 erlebte er im Berliner Kino »Colosseum« seine Uraufführung und fand umgehend – mit 33 Kopien – ein Riesenpublikum in der DDR. Der Regisseur Dieter Schumann war bei etlichen FILMERNST-Veranstaltungen seines Films unser Gast, und …
… auch Jahrzehnte nach dem großen Erfolg konnte »flüstern & SCHREIEN« ein heutiges junges Publikum durchaus interessieren und beeindrucken. Für den Geschichtsunterricht, aber auch für das Fach Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde bietet der Film vielfältige Anknüpfungspunkte, ermöglicht Vergleiche mit eigenen Haltungen, lässt das Leben der Eltern- oder mittlerweile fast Großelterngeneration für die heutigen Jugendlichen lebendig und vielleicht auch nachvollziehbar werden.
Der Drehbuchautor und Dramaturg Jochen Wisotzki liefert unter dem Titel »Wie ich mit Gorbatschow mein Glück bei der DEFA machte« einen neuen, erhellenden Beitrag zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte dieses Films, aber auch einiger anderer, die in den letzten Jahren der DDR im DEFA-Studio für Dokumentarfilme entstanden. Zu lesen ist der sehr ansprechend illustrierte Text – mit zum Teil noch nie gesehenen grafischen Darstellungen aus dem Montage-Szenarium – im gerade erschienenen, vierten Journal der DEFA-Stiftung: Leuchtkraft 2021.
Das komplette »Leuchtkraft«-Journal mit einer Vielzahl sehr lesenswerter Beiträge steht hier – mit Dank an die DEFA-Stiftung – als PDF-Download zur Verfügung.
»Man muß brüllen … und man muß flüstern«, das sagt im Film Dirk Zöllner. Bekannt geworden durch seine Band »Chicorée«, später mit André Gensicke als »Die Zöllner«. Nach einem Konzert kommen die beiden in die Garderobe und Dirk Zöllner lässt seinen Gedanken freien Lauf: » … live kann man viel machen. Es ist überhaupt der entscheidende Punkt, der mich so glücklich macht. Wir sind böse Menschen, wir möchten auch böse sein. Wir sind zärtliche Menschen, wir möchten auch zärtlich sein. Und wir sind auch politisch denkende Menschen, die sich grade in dieser Gesellschaft auch einen Kopf machen, wie es aussieht, wo die Tendenz hingeht. Was man machen möchte. Wir möchten auch daran teilhaben. Wir haben die Möglichkeit, wenn wir auf der Bühne stehen, auch was zu machen und zu äußern. Und da möchten wir uns auch nicht dümmlich äußern, sondern wollen was machen – und dann kann man auch glücklich sein. Man kann nicht, so wie es bei ›Chicorée‹ zum Schluß war, überall diese Sache abfallen, abflachen, sondern man muß brüllen … und man muß flüstern.«
Ganz zum Schluss ist »Feeling B« zu hören: »Zieh’ die Schuhe aus / die so lang schon drücken. / Lieber barfuß lauf, / als auf ihren Krücken.«
Feeling B - Artig
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Feeling B - Unter Dem Pflaster
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Jochen Wisotzki schreibt dazu: »Deutlich steht mir ein Gespräch mit Dieter Schumann gegen Ende des Montage-Prozesses vor Augen. Wir standen gerade an der Ampelkreuzung vor dem Roten Rathaus in Berlin. Es ging darum, wie wir den Film beenden und um die Option, den Film mit diesem Song zu beschließen. Ich fragte Dieter etwas unsicher, ob wir uns trauen, am Schluss zur Revolution aufzurufen. Dieter antwortete lachend: Na klar! Und so wurde es dann auch gemacht.«
DDR 1987, Zeit- und Filmgeschichte mit Leuchtkraft.
Fotos: DEFA-Stiftung / Fotografin: Tina Bara