»Auf dieser Reise geht es um Schmerz, aber auch darum, ein Volk zu feiern.« James, der junge britische Tour-Guide, nimmt seine Aufgabe sehr ernst. Die nächsten Tage wird es ihm wieder wahre innere Berufung sein, eine kleine Gruppe jüdischer Nordamerikaner durch Polen zu begleiten. Er wird sie die noch vorhandenen Zeichen einer untergegangenen Welt entdecken lassen, sie an Stätten ungeheuren Leids und menschlicher Vernichtung führen. Einige von ihnen werden Spuren der eigenen Familiengeschichte verfolgen – wie die New Yorker Cousins Dave und Benji. Die beiden jungen Männer sind in Charakter und Verhalten grundverschieden: der eine überstrukturiert und normiert, der andere spontan und unberechenbar. Nach dem Tod der geliebten Großmutter wollen sie nun deren frühere Heimat sehen und sich dabei vielleicht wieder ein Stück näherkommen. Die Konfrontation mit der Vergangenheit kann eigentlich nur traurig und belastend sein. Gäbe es da nicht einen in der Gruppe, der für Irritationen und Provokationen sorgt, für Verblüffung und Verwunderung. Benji bringt alle – außer Dave – dazu, vor dem Denkmal des Warschauer Aufstands für ein Gruppenbild zu posieren. Benji wagt James für dessen permanent dargebotene Faktenfülle zu kritisieren, wo es doch um die Schicksale von Menschen gehe. Benji fragt sich und die anderen, ob ihnen das nicht seltsam vorkomme: im Zug in der 1. Klasse zu sitzen, wohl wissend, dass 80 Jahre zuvor Juden in Waggons zusammengepfercht Richtung Maidanek fuhren. Dank Benji gewinnt die touristische Auf- und Abarbeitung von Erinnerungen an Tiefe und Leichtigkeit – bis hin zu Humor und befreiendem Lachen. Das Schwere wird nicht ausgespart und wirkt um so wuchtiger: Der Gang durchs Konzentrationslager bedarf keiner Dramatisierung des wahren Schmerzes.
Einfühlsam: Der israelische Pianist Tzvi Erez mit Kompositionen von Frédéric Chopin.
Fotos: The Walt Disney Company, Germany
»›A Real Pain‹ ist ein Film voller kontrastreicher Gefühle und Charaktere, voller Nachdenken über das Leben und die Welt, das Schöne und das Schlimme darin. Und doch ist er dabei niemals prätentiös, sondern bewahrt sich seine authentische Leichtigkeit, ist witzig, ohne jemals klamaukig zu werden, berührend, ohne ins Kitschig-Melodramatische abzudriften. Denkt über Vergangenes nach, ohne die Gegenwart zu verlassen.«
Christian Neffe, kino-zeit.de, Mannheim
»Der tiefe Schmerz des Titels ist mithin ebenso historisch wie privat gemeint; Benji beansprucht kein Monopol auf ihn. Eisenbergs Film trägt wundersam leicht daran. Sein Dialogwitz wirkt in keinem Moment frivol. Vielmehr ist er belastbar: Er gründet in der Würde. Trauer verträgt sich nicht mit dem touristischen Blick. Eisenberg ist gründlich gegen ihn gefeit, er weiß, wie genau er hinschauen darf und wie er seine Figuren dann, voller Zuversicht, mit ihr allein lassen kann.«
Gerhard Midding, epd film, Frankfurt/Main
»Achtzig Jahre nach dem Ende der Konzentrationslager ist es nur gerecht, amerikanischen Juden um die dreißig mal Depressionen und suizidale Neigungen zuzugestehen, die vielleicht nichts mit der Last der Geschichte zu tun haben, sondern mit ihrer Individualität. Und der Humor hebt den Film … in eine Allgemeingültigkeit, in der sich auch Menschen wiedererkennen, die durch keinerlei ›Erbe‹ mit dieser Geschichte verbunden sind – außer mit dem Erbe unser aller Humanität.«
Matthias Heine, Welt am Sonntag, Berlin
»Besonders herausragend ist der dank ›Succession‹ endlich richtig bekannt gewordene Kieran Culkin in der Rolle des Benjamin. Seine Darstellung oszilliert zwischen anziehender und abstoßender Präsenz – ein Mensch, der gleichermaßen Wärme und Härte ausstrahlt, der zutiefst empathisch sein kann, um im nächsten Moment rücksichtslos die Fassade fallen zu lassen und andere vor den Kopf zu stoßen. In dieser Figur vereinen sich Güte und Dunkelheit, eine latente Furcht vor der eigenen inneren Leere. Benjamin ist zweifellos eine der faszinierendsten Figuren des Films und trägt maßgeblich dazu bei, ›A Real Pain‹ zu einer emotionalen Begutachtung zu machen.«
Sebastian Groß, moviebreak.de, Kassel
»›Zeitweise tragisch‹, das wäre auch ein passender Titel für diesen Film gewesen, der sich zwischen den ganz banalen Erlebnissen und Dynamiken einer x-beliebigen Reisegruppe und den Traumata der einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmer bewegt.«
Carolin Ströbele, Zeit-online.de, Hamburg
»Was passiert, wenn man sich dem Schmerz stellt, den man in sich trägt oder den die Nähe eines anderen Menschen bedeuten kann? Wie wägt man persönliche Probleme gegen eine alles überschattende Tragödie ab? Wie geht man mit dem Vermächtnis des Leidens und des Überlebens um? Es ist eine geradezu irritierend unterhaltsame philosophische Abhandlung über das titelgebende Thema, dem sich Jesse Eisenberg mit so viel Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit widmet, dass er sich auch eingesteht, die damit einhergehenden Konflikte nicht lösen zu können. Wenn die Kamera in der wundervollen letzten Einstellung des Films noch einmal die ganze Verlorenheit und Zerrissenheit in Benjis Gesicht zeigt, findet er darin zumindest die Antwort auf die Frage, wie sich echter Schmerz anfühlt.«
Corinna Götz, The Spot, media&film, München
»Seinen ergreifendsten Moment findet ›A Real Pain‹, wenn die Gruppe das ehemalige Konzentrationslager Majdanek besucht. Zwischen Gaskammern, Verbrennungsöfen und einem Berg mit den Schuhen der Opfer herrscht plötzlich tiefes Schweigen. Auch die Filmmusik verstummt.«
Jörg Brandes, Sächsische Zeitung, Dresden
»›A Real Pain‹ wurde mit vergleichsweise bescheidenem Budget als Autorenfilm realisiert. Die Story folgt den Stationen einer touristischen Tour. Die Figuren sind von real existierenden Personen inspiriert, die Eisenberg kennt; auch die des zum Judentum konvertierten Ruanda-Kanadiers Eloge und die des übereifrigen Philosemiten James. Der Film ist sichtbar ›on the Road‹ entstanden. Die Kamera von Michał Dymek folgt den Regeln dokumentarischen Schaffens; vieles ist spontan entstanden, manches improvisiert.«
Irene Genhart, filmdienst, Bonn
»Dabei ist ja gerade die Schwere bei all der Leichtigkeit das so Überraschende und Wunderbare an diesem Film, denn erst durch die Reibung der beiden Pole entsteht dann tatsächlich so etwas wie Wahrheit und die Möglichkeit, ein wenig ›gesünder‹ als vorher zu sein. Und wie ›differenziert‹ diese Reibungen sein können, zeigt nicht nur die wunderbare Schlussszene dieses kleinen, großen Films.«
Axel Timo Purr, artechock.de, München
»Sowohl meine Familie mütterlicherseits als auch väterlicherseits war vor dem Holocaust in die USA geflohen. Die einen aus Lettland, die anderen aus der Ukraine. Diese Familiengeschichte hat mein Leben geprägt, und das Wissen darum, dass meine Familie damals in größter Gefahr war, ins Exil musste und dann in Amerika ganz von vorn begann, war bei uns immer präsent. Die Dreharbeiten in Polen fühlten sich für mich deswegen auch an wie eine Art Heimkehr. Das war, wenn auch geografisch nicht ganz korrekt, für mich eine Reise zurück in meine Familiengeschichte, die zu erleben ich wirklich nur dem Film zu verdanken habe.«
aus einem Gespräch von Jennifer Grey mit Patrick Heidmann, Jüdische Allgemeine, Berlin