Das Mädchen aus dem Fahrstuhl

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im Land Brandenburg

Das Mädchen aus dem Fahrstuhl

DDR 1990 / Spielfilm / 96 Minuten / 8.-13. Jahrgangsstufe

Inhalt

»Über die Ungerechtigkeit in der Schule oder Wem nützen Zensuren?« Das hätte für einen Deutsch-Aufsatz ein kontroverses Thema sein können. Es war aber die Überschrift eines Blattes, das ein Zehntklässler an die Wandzeitung seiner Schule heftete: eine maximale Provokation, damals, in den späten 1980er Jahren in Berlin, Hauptstadt der DDR. Frank war eigentlich ein Musterschüler, Mathe-Genie und FDJ-Sekretär. Der Vater in einem Ministerium tätig, die Mutter in gehobener Position eines Betriebes. Sein Blick auf die Welt ändert sich, als eine Neue in die Klasse kommt. Eher leistungsschwach und bar großer Ambitionen. Kindergärtnerin würde sie gern werden, aber die Noten reichen nicht. Frank und Regine wohnen zwar im gleichen Haus, doch in völlig verschiedenen sozialen Verhältnissen, arm und reich, oben und unten. Die beiden verlieben sich – und Frank stellt auf einmal Fragen, die an die Substanz des Systems rühren. Er fliegt aus der FDJ, sein Studienplatz ist in Gefahr. Die Beziehungen des Vaters eröffnen ihm einen Ausweg – ohne Regine.

Sprengstoff für Fundamente der DDR – und rückblickend sehr gegenwärtig.

Fotos: DEFA-Filmverleih, Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin – Waltraut Pathenheimer/Dieter Chill

Themen

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Fächer

Deutsch   |  Geschichte   |  Politische Bildung   |  Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde   |  Pädagogik

»Welchen Stellenwert hat die Leistung des einzelnen für seine Anerkennung im Kollektiv? Wie wird der Aufwand gewertet, den der einzelne für eine bestimmte Leistung braucht? Und was sagen die anderen, wenn man plötzlich das Erwartete, das Gewohnte nicht schafft? Das alles sind Fragen, die man nur beantworten kann, wenn man die Menschen sieht, die es betrifft. Genau darum geht es Gabriele Herzog, wenn sie von Ereignissen in einer Schulklasse erzählt […] Gabriele Herzog erzählt einfühlsam und mit viel Verständnis für die Probleme junger Leute. Die Autorin sucht den Dialog mit dem Leser, und ich bin sicher, er wird nach der Lektüre weitergehen.« Astrid Böhme, Neues Deutschland, Berlin-Ost (1986) – Rezension des Buches

»Schüler geraten in Konflikt zu den sakrosankten Regeln von Zensur-Gebung, Ordnung, Unterordnung, Zuordnung, Recht und Gerechtigkeit. Eingebunden ist das Ganze in eine Liebesgeschichte zwischen Klassenprimus (Rolf Lukoschek) und eben dem Mädchen aus dem Fahrstuhl (Barbara Sommer). Die Diskrepanz zwischen Wort und Tat im Staate DDR soll ausgelotet werden und ausgeleuchtet, wie denn wohl diese allgegenwärtige Unterdrückungssystematik im ganz gewöhnlichen Alltag funktionierte und deformierte. Vielleicht ist es zu früh, auf eine so kompliziert verflochtene und gesellschaftlich verfilzte Problematik schon jetzt verbindliche künstlerische Antworten zu erwarten. Wichtig waren sie und bleiben sie.« Günter Sobe, Berliner Zeitung, Berlin (1991)

»Herrmann Zschoche ist ein Regisseur, der sich immer wieder der Probleme junger Leute in der DDR angenommen hat. Sein Film ›Sieben Sommersprossen‹ fand ein Millionenpublikum, und auch seine vorletzte Arbeit ›Grüne Hochzeit‹ über die Konflikte einer jungen Ehe hatte überdurchschnittlichen Erfolg. Inzwischen kam auch einer seiner ersten Filme, der 1966 verboten worden war, in Kinos und Fernsehen: ›Karla‹. Damals ging's um die Schwierigkeiten beim Aussprechen der Wahrheit in der Schule. Zschoches jüngster Film ›Das Mädchen aus dem Fahrstuhl‹ zeigt, dass sich in dieser Beziehung bis zuletzt in den Schulen der DDR nichts geändert hatte […] Herrmann Zschoches milieuechter Film wird mit diesem bitteren Ende zu mehr als einem Blick zurück im Zorn auf die DDR: Nicht nur in ihr gab's Anpassung und die Kluft zwischen oben und unten.« Heinz Kersten, Der Tagesspiegel, Berlin (1991)

»Der Film kam zu spät, weil er früher nicht gedreht werden durfte. Als 1989 die Zeit endlich reif war, entschied der Runde Tisch über die aktuellen Produktionen des Studios; auf einmal schien derselbe Stoff, der 1988 noch als ›frontaler Angriff auf das Volksbildungssystem‹ wahrgenommen wurde, zu Recht nicht mehr radikal genug zu sein. Doch Zschoche überzeugte das Gremium davon, dass die Geschichte in ihrer zentralen Aussage allgemeingültig sei. Die Freigabe wurde erteilt, Drehbeginn: 1. Dezember 1989. Zschoches letzter DEFA-Film wurde ein aufrichtiges, aber bescheidenes Werkfinale, mit dem sich ein thematischer Bogen schloss, an dessen Anfang ›Karla‹ steht.« Dieter Chill, der Freitag, Berlin (2014)

»Ein großartiger DEFA-Film, der leider nie im deutschen Fernsehen gezeigt wurde, ein Stück (ost-)deutscher Filmkunst, mitten aus dem Leben, aus dem Alltag. Die letzten Monate der DDR werden hier bebildert, in denen ein Schüler zwischen Hochbegabung und erster großer Liebe beginnt, das noch von Fahnenappellen und FDJ geprägte System in Frage zu stellen, da Schulnoten seiner Meinung nach nicht den Werdegang des oder der Einzelnen bestimmen sollten. Dafür soll er aus der FDJ ausgeschlossen werden, was ihm ein Studium verwehren würde; mehrere Mitschüler, zwei Lehrer und auch seine Eltern solidarisieren sich jedoch mit ihm gegen die hartherzig agierende Schulleiterin. ›Das Mädchen aus dem Fahrstuhl‹ ist geprägt von einem trocken-poetischen Humor und einer berührenden Liebesgeschichte, doch die tragische Note des Ganzen lässt sich nicht übertünchen, was dem Film bei aller zurückhaltenden Ruhe eine gewisse Wucht verleiht.« Jakob Larisch, wirsindmovies.com, Mainz (2019)

»Aufrichtigkeit und Zivilcourage, stellte Kosslick in seiner Rede fest, dafür plädiere Zschoche in seinen Filmen, gegen Opportunismus, Anpassung, gegen den Untergang von Idealen und Idealisten. Schwieriges Terrain bei der DEFA, in der DDR. Und wie Zschoche mit diesen Themen umgeht im ›Mädchen aus dem Fahrstuhl‹, dafür hätte dem Film eine Ehrenplatz gebührt. Jedoch: Drehstart war der 1. Dezember 1989, Abnahme des Rohschnitts der 30. Juni 1990, nach der Premiere im Januar '91 hat den Film kaum je wieder einer gesehen. Das Drehbuch war jahrelang bei der DEFA unproduziert geblieben. Dreh war dann gerade in der Wendezeit. Und der Film war damit schon bei Drehstart veraltet. Denn in Szene gesetzt wurde das Drehbuch ganz genau und unverändert, die neue Zeit fand keinen Eingang in den Film. Einmal fragen sich Frank und Regine, was sie nach der Schule machen könnten, ach, mal wegfahren. In die Stadt oder raus? In die Stadt: Kudamm! Haha, kleiner Scherz. Geht ja nicht. Näher liegt ein Flug nach Karthoum. Oder: Franks Vater ist Direktor, ein großer Max, mit Strippen und Beziehungen überall hin. Abends ist Ministerempfang, Franks Mutter will nicht: Sekt trinken und zuhören, wie erfolgreich alle sind! Zu der Zeit waren DDR-Staat und –Wirtschaft in heller Auflösung begriffen.«
Harald Mühlbeyer: Berlinale-Kamera an Herrmann Zschoche. epd film, Frankfurt/Main (2019)

»Das Volk in den Filmen der Defa sieht dem auf den Straßen wenig ähnlich. Portraitiert wird der resignierte Intellektuelle. Drei Beispiele: ›Ein brauchbarer Mann‹ von Hans-Werner Honert, ›Architekten‹ von Peter Kahane, ›Das Mädchen aus dem Fahrstuhl‹ von Hermann Zschoche. Der erste Film lief bereits im Kino, die anderen zwei sind abgedreht. Die Stoffe sind nicht ›frisch‹, doch in allen wird das ›System‹ angegriffen. Es erscheint als eine Ordnung, die jeden, der etwas ausrichten will, zum Konformismus zwingt, zum Verrat an Individualität. […] Der Sohn zweier erfolgreicher ›Leiter‹, begabt in Mathematik, entdeckt dank der Liebe zu einer Mitschülerin, einem Mädchen ohne Talente und aus halb asozialen Verhältnissen, daß es im Leben soziale Unterschiede gibt und einiges mehr. Die berühmte Diskrepanz zwischen Wort und Tat, Schulnote und Begabung. Er versucht das während eines Appells auszusprechen. Die Folge: Ausschluß aus der FDJ. Kein Studienplatz. Und schon mit sechzehn sieht er ein, daß nichts zu ändern ist. Mund zu, dann darfst du an den 16-Bit-Rechner. Er fährt weg, in eine Sonderschule, weit weg von den störenden Schwierigkeiten. Das Mädchen darf als Aushilfe Essenskübel im Kindergarten wuchten.« Oksana Bulgakowa. Letztes Jahr in Babelsberg. Eine Momentaufnahme des resignierten DDR-Intellektuellen: Die Defa-Filme von 1989, zitiert nach: Die Zeit, Hamburg (25/1990)


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